Kirche und Staat

Nach der letzten Gallup-Studie 2012 sagen 59% der Bevölkerung in 57 Ländern von sich selbst, sie seien religiös [1]. Der Staat als Rechtskonstrukt des gesellschaftlichen Zusammenlebens kann daher die religiösen Interessen der Menschen, die sich auf seinem Gebiet aufhalten, nicht grundsätzlich ignorieren, ansonsten würde er Gefahr laufen, die Menschenwürde nicht zu respektieren.
Die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates in Österreich stützt sich in ihrer konkreten Ausgestaltung auf folgende Grundlagen:
Da Religion wesentlich Werte und Sinn einbringt, ist sie – nach einem berühmten Diktum des deutschen Staatsrechtlers Böckenförde – eine der geistigen Voraussetzungen, von denen der freiheitlich-demokratische Staat lebt, die er jedoch selbst nicht zu schaffen vermag [2]. Der moderne Staat soll daher, um tatsächlich neutral und unparteiisch zu sein, Religion nicht gesellschaftlich marginalisieren, sondern ihr im Sinn einer hereinnehmenden Neutralität einen entsprechenden Raum auch in der Öffentlichkeit sichern und damit letztlich effektiv auch das Recht auf Religionsfreiheit garantieren.
Dass ein Staat religiös-weltanschaulich neutral ist, bedeutet daher nicht, dass er einem radikalen Laizismus verpflichtet ist oder dass Religion aus dem öffentlichen Leben ausgegrenzt und zur Privatsache erklärt wird.
Österreich lebt in höchst bewährter Weise das Modell einer hereinnehmenden Neutralität oder freundschaftlichen Trennung, die sich durch Kooperation zum Wohl der Menschen auf vielen Gebieten auszeichnet. Bildung, Krankenpflege und Caritas sind wohl die herausragendsten Beispiele. Dieses gelungene Modell eines kooperativen Verhältnisses zwischen Staat und Kirche bei gleichzeitig selbstverständlicher institutioneller Trennung auf allen Ebenen schafft zugleich eine solide Basis für ein ökumenisches und interreligiöses respektvolles Miteinander in Österreich.
Der Staat behält sich vor, Kirchen und Religionsgesellschaften durch Anerkennung den Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft zu verleihen. Körperschaften öffentlichen Rechts sind ansonsten vom Staat eingerichtete Einheiten wie z.B. Gemeinden, wobei die Stellung der KuR nicht mit jeder anderen Körperschaften öffentlichen Rechts vergleichbar ist. Es handelt sich vielmehr um eine öffentlich-rechtliche Stellung, die in dieser konkreten Ausformung ausschließlich für KuR vorgesehen ist.
Ursprünglich waren der Kirche hoheitliche Aufgaben wie z.B. im Eherecht übertragen, woraus sich die öffentlich-rechtliche Stellung historisch betrachtet begründen lässt. Die Entscheidung, den KuR weiterhin öffentlich-rechtliche Stellung zu verleihen, wurde jedoch aktiv getroffen, auch nachdem seitens der Kirche keine hoheitlichen Aufgaben mehr übernommen wurden. Die Bedeutung dieser Stellung ist heute eher eine symbolische in Hinblick auf die Anerkennung des öffentlichen Wirkens der KuR in einem religiös-weltanschaulich neutralen Staat [3].
Zugleich wird damit impliziert, dass eine „positive Grundeinstellung gegenüber Gesellschaft und Staat“ Anerkennungsvoraussetzung ist und die Bereitschaft zu einer Kooperation mit dem Staat bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben (z.B. bei karitativen Aufgaben, im Bildungs- und Erziehungswesen, im Denkmalschutz etc.) besteht. Auf diesem Hintergrund ist etwa Art 17 StGG zu verstehen, der das Recht, aber auch die Verpflichtung der KuR festhält, schulischen Religionsunterricht zu erteilen.
Stand: 2.2.2017
Dr. Birgit S. Moser-Zoundjiekpon
Leiterin der Abteilung für Rechtsangelegenheiten
Erzbischöfliches Amt für Unterricht und Erziehung Wien
[1] WIN-Gallup International, Global Index of Religiosity and Atheism – 2012.
[2] Vgl. Böckenförde, Ernst-Wolfgang, in: Teufel, Erwin (Hg.), Was hält die moderne Gesellschaft zusammen, Frankfurt/Main 1996, S 89.
[3] vgl Kalb / Potz / Schinkele, S 73.
