Die Frage, ob bzw. wie weit religiöse Symbole im öffentlichen Raum sichtbar sein können (oder sollen), hat aus rechtlicher Sicht zwei Komponenten: die Religions- und Weltanschauungsfreiheit und – gleichsam als Hintergrundfolie – die Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirchen/Religionsgesellschaften. Religions- und Weltanschauungsfreiheit kann in ihrem vollen Umfang am besten in einem religiös-weltanschaulich neutralen Staat wie Österreich verwirklicht werden.
Religiös-weltanschauliche Neutralität bedeutet nicht - wie oft fälschlich postuliert wird -, dass der Staat Religion vollkommen in die Privatsphäre abdrängt. Dadurch, dass der moderne Leistungs-, Kultur- und Sozialstaat zahlreiche Aufgaben erfüllt, die das Privatleben der BürgerInnen nachhaltig beeinflussen (z.B. Bildung), würde ein Ignorieren aller religiösen Bezüge bei der Erfüllung dieser Aufgaben durch den Staat letztlich bedeuten, dass die Ausübung der Religions- und Weltanschauungsfreiheit des Einzelnen einschränkt wird. Die Forderung nach Trennung von Staat und Kirche kann und darf sich in diesem Zusammenhang nur darauf beziehen, dass die staatlichen Institutionen einerseits und jene der Kirche andererseits strikt voneinander getrennt sind.
Positive Religionsfreiheit umfasst das Recht auf (öffentliche) Ausübung von Religion. Das Tragen von religiösen Symbolen im öffentlichen Raum ist daher zulässig, ebenso die Errichtung von Gebäuden, die der Religionsausübung dienen, das Aufstellen religiöser Symbole oder das Anbringen von solchen an Gebäuden.
Eine Einschränkung der Religionsfreiheit kann auf Grundlage einer gesetzlichen Regelung im Rahmen der grundrechtlich vorgegebenen Schranken, wie öffentliche Ordnung und Sicherheit, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer etc. erfolgen, sofern keine andere, allenfalls weniger einschränkende Möglichkeit besteht.
Die Religionsfreiheit schützt nicht nur positiv das Ausüben von Religion, sondern beinhaltet auch, dass niemand dazu gezwungen werden kann, einer (bestimmten) Religion anzugehören, sie auszuüben oder sich zu einer Religion öffentlich zu bekennen (sogenannte negative Religionsfreiheit). Umstritten ist, wie weit die negative Religionsfreiheit auch das Recht beinhaltet, nicht mit religiösen Symbolen konfrontiert zu werden, und ob aufgrund dessen verboten werden kann, religiöse Symbole in der Öffentlichkeit zu tragen, anzubringen oder zu errichten. Bisher lehnt die Judikatur eine solche Auslegung der negativen Religionsfreiheit ab.
Jedes Symbol trägt zudem einen verdichteten Sinn in sich, der sich zwischen dem Symbol und dem Betrachter immer wieder neu entfaltet und eine große Vielfalt generiert. Dies gilt für alle religiösen Symbole. So ist das Kreuz ein religiöses, aber auch ein kulturelles Symbol, das für die europäische Identität steht. Dies muss bei jeder Diskussion um religiöse Symbole mit bedacht werden.
